Geschichte des Bewegten Religionsunterrichts

Das Konzept Bewegter Religionsunterricht wurde Anfang der neunziger Jahre von Elisabeth Buck entwickelt. Als Diplom-Musikpädagogin mit dem Hauptfach "Musik und Bewegung" (Rhythmik) und mit einer gemeindepädagogischen Zusatzausbildung wandte sie sich dem Religionsunterricht aus einem ganz besonderen pädagogischen Blickwinkel zu:

Die pädagogischen Wurzeln des Bewegten Religionsunterrichts reichen zurück ins Jahr 1911, als in Dresden Hellerau der Genfer Musikpädagoge Emil Jaques-Dalcroze (1865-1950) das musikpädagogische Konzept rhythmisch-musikalische Bewegungserziehung (- der Fachterminus für die "rhythmisch-musikalische Bewegungserziehung" ist "Rhythmik" -) einführte.

Seine Schülerin Elfriede Feudel (geb. Thurau, 1881-1966) erkannte den allgemeinerzieherischen Wert dieser Konzeption. Sie vertrat den Ansatz, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Umwelt über eine mehrdimensionale Sinneswahrnehmung in der Schule gefördert werden müsse, um die Lebenskompetenz des Schülers zu stärken. Die Fähigkeit, Eindrücke aufzunehmen und Empfindungen auszudrücken, müsste das Grundprinzip aller schulischer Erziehung sein. Somit war die Rhythmik nicht mehr nur Sache der Fachmusiker,  sondern auch der Lehrer und Erzieher in Schulen, Heimen und Kindergärten.

Feudels Anliegen war, "dass der Leib zum Schauplatz der elementaren Erfahrungen in Zeit und Raum gemacht und zum Erfinden und Entdecken mit dem ihm eigenen Organen erzogen und ausgebildet wird. Was auf diesem Weg erworben wird, ist in Wahrheit eigener Besitz und führt in eine Wirklichkeit ein, die mehr Leben enthält und mitteilt als alles, was fertig von anderen übernommen wird." (Feudel, Elfriede, Durchbruch zum Rhythmischen in der Erziehung, Stuttgart 1949, 3. Aufl. 1974, S.48)

Das Menschenbild der Rhythmik geht also von der unauflöslichen Einheit von "Leib, Seel und Geist" aus. Die Rhythmik versucht in einem radikalen Unterrichtskonzept dieser Einheit gerecht zu werden. Damit kollidiert die Rhythmik mit der traditionellen Schulwirklichkeit Deutschlands. Elfriede Feudels Grundideen sind nicht einmal ansatzweise in die Schulpädagogik aufgenommen worden. 1965 schrieb sie im Vorwort zur zweiten Auflage von "Durchbruch zum Rhythmischen in der Erziehung": "Der Beitrag der Rhythmischen Erziehung zu den großen Erziehungsaufgaben der Gegenwart blieb unter diesen Umständen wenig beachtet und wurde nur an denjenigen Stellen planvoll ausgewertet, die unmittelbar über die Praxis Einblick gewonnen hatten." (a.a.O. S.7)

Seit 1925 ist Rhythmik Diplomstudiengang an zahlreichen Staatlichen Hochschulen für Musik. Diese Konzeption (die nichts mit der anthroposophischen "Eurythmie" zu tun hat) ist nach wie vor in der außerschulischen Musikpädagogik sehr erfolgreich. Darüber hinaus hat sich die Rhythmik in therapeutischen und künstlerischen Arbeitsfeldern etabliert.

Wesentliche Elemente der pädagogischen Konzeption Rhythmik und religionspädagogische Grundanliegen fließen in Elisabeth Bucks Arbeit zusammen. Die Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen über religiöse Fragen muss sich für Elisabeth Buck am Grundsatz der Rhythmik ausrichten: Der Leib wird "zum Schauplatz der elementaren Erfahrungen in Zeit und Raum". (s.o.)

Weitere Impulse für die Entwicklung des Bewegten Religionsunterrichts erfuhr Elisabeth Buck in ihren ersten Berufsjahren, als sie über Bewegungs- und Wahrnehmungsspiele therapeutisch mit erziehungsschwierigen, verhaltenssauffälligen Kindern und Jugendlichen kommunizierte. Erfahrungen aus der Motopädagogik kamen ebenso hinzu wie Elisabeth Bucks jahrelange künstlerische Arbeit in einer professionellen Improvisationstheatergruppe.

Aus dieser Vielzahl von Einflüssen kristallisierte sich seit Anfang der neunziger Jahre für Elisabeth Buck das Konzept "Bewegter Religionsunterricht" heraus. Erziehungswissenschaftliche Perspektiven einer Lerntheorie, die nachhaltiges Lernen durch Wahrnehmung und Bewegung analysiert, werden dafür zu einem Eckpfeiler. Die didaktische Aufgabe besteht im Besonderen darin, Bewegungsimpulse und körperliche Kontaktpunkte in biblischen Texten zu entdecken. Bewegungssymbole daraus zu entwickeln, die Kinder und Jugendliche zur Diskussion über theologische Fragen führen können, ist dabei die künstlerische Herausforderung. - Verteilt auf die einzelnen Unterrichtsbände zum Bewegten Religionsunterricht ist das Konzept des Bewegten Religionsunterrichts in seinen unterschiedlichen Facetten dargestellt. (Die Unterrichtsbände sind bisher: Bewegter Religionsunterricht, Göttingen, 5. Aufl. 2010 / Kommt und spielt 1, Göttingen, 3. Aufl. 2004 / Kommt und spielt 2, Göttingen, 2. Aufl. 2003 / Religion in Bewegung, München, 2017 / Neuland betreten - Bewegter Religionsunterricht im 7. bis 9. Schuljahr, München, 2011.)
Beispielhaft hat Elisabeth Buck ca. 220 in der Praxis geprüfte Unterrichtsentwürfe  aus dem Bewegten Religionsunterricht für die Grundschule und für die Sekundarstufe I (fünfte bis neunte Klasse) entwickelt und publiziert. 

Von Anfang an stand ihr Prof. Dr. Dr. Rainer Lachmann als Kritiker und Berater zur Verfügung. Auf bisher ca. 300 Fortbildungsveranstaltungen hat Elisabeth Buck das Konzept des Bewegten Religionsunterrichts mit Pädagoginnen und Pädagogen diskutiert. Erfahrungen aus diesen Diskussionen sind in die Weiterentwicklung des Bewegten Religionsunterrichts mit eingeflossen. Darüber hinaus wirkt sich Elisabeth Bucks Tätigkeit als Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für evangelische Religionspädagogik und -didaktik  der Otto-Friedrich-Universität Bamberg ebenfalls innovativ auf die weitere Entfaltung des Bewegten Religionsunterrichts aus.

In den Jahren 2009 und 2010 lief ein Unterrichts- und Forschungsprojekt für die Grundschule zum leiblich-bewegten Religionsunterricht: Das Unterrichts- und Forschungsprojekt fand statt als eine empirisch-theologische Untersuchung im quasi-experimentellen Design mit dem Ziel, die Qualität und Nachhaltigkeit zweier unterschiedlicher didaktischer Ansätze im Religionsunterricht zu überprüfen. Die Grundfrage war, welche Lernerfolge sich durch „leibliches Lernen“ erzielen lassen und wie sie sich zu den Lernerfolgen verhalten, die durch das Lernen auf der Basis imaginierter Erfahrung gewonnen werden.
Grundlage waren zwei vierwöchige Unterrichtseinheiten im 4. Jahrgang zu den Lehrplanthemen „Sich nach Freiheit sehnen – Freiheit erleben“ (Mose) und „Nach den Wurzeln des Glaubens suchen – Wege zueinander finden“ (Martin Luther). Der Stand der Kenntnisse und Kompetenzen der Schüler vor und nach den Unterrichtseinheiten wurde durch insgesamt vier Fragebögen und eine freie Präsentationsaufgabe erhoben. Rund 25 Lehrkräfte in ganz Bayern mit ihren Religionsklassen beteiligten sich an diesem Unterrichts- und Forschungsprojekt. Sie hatten dazu eine spezielle Fortbildung absolviert. Unter Genehmigung des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus bezog die Studie ca. 500 Schüler/innen ein. Publikation: Fricke, Michael /  Riegel, Ulrich, „Als wir barfuß über den Boden Gottes laufen konnten - Eine empirische Pilotstudie zum leiblichen Lernen im Religionsunterricht der Grundschule", Göttingen, 2011. Leitung des Projekts: Prof. Dr. Michael Fricke (Universität Regensburg) [Link] und Prof. Dr. Ulrich Riegel (Universität Siegen) [Link].

Ein weiteres qualitatives Forschungsprojekt an Berliner Schülerinnen und Schülern einer sechsten Klasse ging der Frage nach, wie sich Jesuserzählungen den SchülerInnen durch leibliche kooperative Abenteuerspiele erschließen. Sein Forschungsprojekt veröffentlichte Dieter Altmannsperger mit dem Buch "Barfuß die Bibel entdecken - Kooperative Abenteuerspiele für die kirchliche und schulische Praxis", Neukirchen/Vluyn 2018". 

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